Ikonenbeschreibungen

Die Ikone der Heiligen Dreifaltigkeit

Seit dem zweiten ökumenischen Konzil von Nicäa im Jahre 787 ist es innerhalb der orthodoxen und katholischen Kirche unstreitig, daß Bilder von Jesus Christus und den Heiligen nicht nur erlaubt, sondern geradezu erwünscht sind. Ganz anders verhält es sich jedoch mit der Darstellung Gottvaters. Gerade die Menschwerdung des Sohnes Gottes und damit seine Offenbarung und Sichtbarkeit diente den Konzilsvätern als Begründung für ein Abweichen vom alttestamentlichen Bilderverbot. Mensch geworden war jedoch nur der Sohn, nicht der Vater. Daher galt für Gottvater das biblische Abbildungsverbot nach wie vor und wurde eigens eingeschärft. Konnte man den Heiligen Geist wenigstens als Taube oder Feuerzungen, mithin also in den Erscheinungsweisen, welche biblisch belegt sind, darstellen, war für Gottvater keine Darstellung möglich. Dies schmerzte umso mehr, als damit das Entscheidende des christlichen Glaubens, nämlich der Glaube an die Dreifaltigkeit inmitten aller Bilderfreudigkeit nicht darstellbar schien.

Der Westen entledigte sich dieser Problematik, indem er in Mittelalter das Abbildungsverbot Gottvaters aufgab und ihn als Greis mit langem Bart darstellte. Allerdings blieb das westliche Dreifaltigkeitsbild insofern unbefriedigend, als der Heilige Geist zwischen den anthropomorph dargestellten Personen Gottvater und Gottsohn als Taube erscheinen musste. Die führte mindestens in der subjektiven Bildwahrnehmung zu einer Minderung der Empfindung, daß eben auch der Hl. Geist eine vollkommene Person innerhalb der Trinität ist. Die auch theologische Vernachlässigung des Hl. Geistes in der abendländischen Theologie ist auffällig und es wäre sicher interessant, einmal zu untersuchen, inwieweit sich diese Phänomene gegenseitig beeinflußt haben.
Ganz anders war die Entwicklung im orthodoxen Osten: Man fand eine Darstellungsmöglichkeit, welche einerseits das Bilderverbot hinsichtlich des Vaters respektierte, andererseits aber auch die Gleichpersönlichkeit des Hl. Geistes innerhalb der Trinität nicht aus den Augen verlor.

Ausgangspunkt der Entwicklung zum Trinitätsbild ist die sogenannte «Gastfreundschaft Abrahams». Die Darstellung zeigt das in Genesis 18 beschriebene Ereignis: Drei Männer kehren als Wanderer bei Abraham ein und werden von ihm gastlich aufgenommen und bewirtet. «Der Herr erschien Abraham… . Er blickte auf und sah vor sich drei Männer stehen» (Gen 18, 1–2). Der Text oszilliert auf eine eigentümliche Weise zwischen Drei- und Einzahl. Ohne die heutige exegetische Erklärung für dieses Phänomen gering zu achten, ist doch in unserem Zusammenhang ausschließlich die Deutung der Kirchenväter von Interesse, denn sie gewann Einfluß auf die östliche Dreifaltigkeitsdarstellung. Nach Auffassung dieser Theologen war dieser Text als ein verborgener Hinweis auf die erst im Lichte des Neuen Testamentes vollkommen offenbarte Dreifaltigkeit des einen Gottes zu verstehen. Gott erscheint dem Abraham in Gestalt dreier Männer und bleibt doch immer einer. Die drei Männer sind nicht Gott selber, sondern Boten Gottes und jeder Bote steht zeichenhaft für eine der drei göttlichen Personen. Die sehr häufig dargestellten Wander- bzw. Botenstäbe, kennzeichnen die drei Personen deutlich als Boten.

In frühkirchlicher Zeit wird dieses Ereignis immer als die «Gastfreundschaft Abrahams» dargestellt: Die drei Männer sitzen an einem Tisch und werden von Abraham und zuweilen auch Sara bewirtet.

Mit der Zeit werden aus den drei Männern Engel, das heißt, sie bekommen Flügel. Dies hängt zusammen mit einer Bedeutungsverschiebung des griechischen Wortes «angelos». Zunächst bedeutete es vor allem «Bote» und konnte dabei sowohl den Boten eines Menschen, zb. eines Königs, als auch den Boten Gottes bezeichnen. Mit der Zeit verengte sich die Bedeutung des Wortes und meinte nur noch «Gottesbote». Vom griechischen Wort «angelos» mit der Bedeutung «Gottesbote» stammt unser Wort «Engel» ab.

Mit diesen drei Engeln, bei denen jeder Engel symbolisch für eine Person der Dreifaltigkeit steht, war die Lösung für ein angemessenes Bild der Dreifaltigkeit gefunden. Da der Text in Gen 18 nicht als Wandeln Gottes in Menschengestalt auf Erden, sondern als verborgene Offenbarung in drei (stellvertretenden) Boten aufgefasst wurde, war auch das Bild nicht portraithaft, sondern symbolisch aufgefasst. Damit war das Verbot einer direkten Darstellung Gottvaters ebenso umschifft, wie die in der Taubendarstellung unvermeidliche Abschwächung der Personhaftigkeit des Heiligen Geistes.
Mit dem Weglassen der Bewirtungsszene konnte man den Schwerpunkt des Bildes von der «Gastfreundschaft Abrahams» auf die (symbolische) Darstellung der Trinität verlegen.

Es war dem russischen Maler Andrei Rubljow (ca. 1360 – 1430) vorbehalten, daraus die tiefste Darstellung der Trinität zu entwickeln. Diese Darstellung wurde zur Grundlage vieler Dreifaltigkeitsikonen und hatte eine enorme Wirkungsgeschichte, auch wenn sie in den meisten Fällen nicht sklavisch kopiert wurde.

Rubljow komponiert die drei Engel so, daß sie in einen gedachten Kreis eingeschrieben sind und verdeutlicht so die Einheit der drei Göttlichen Personen. Ihre gleichzeitige Verschiedenheit kommt in ihren unterschiedlichen Gesten und Gewandfarben zum Ausdruck. Das Wichtigste an Rubljows Bild ist aber das zunächst unscheinbare rechteckige Kästchen an der Frontseite des Tisches. Wer orthodoxe Gepflogenheiten kennt, weiß um dieses Kästchen: es ist die in jedem Altar vorhandene Reliquiennische. Damit ist der Tisch des abrahamitischen Gastmahles zu einem Altar geworden.
Die Frage, welche der drei göttlichen Personen welchem Engel zuzuordnen sind, löst sich leicht: Der mittlere Engel, welcher hinter dem Altar sitzt, trägt die klassischen Gewandfarben, welche auch die Christusikone zeigt: Rotes Untergewand mit vertikalem Zierstreifen und blaues Übergewand. Dieser Christus-Engel segnet den auf dem Altar stehenden Kelch. Es ist also die himmlische Liturgie dargestellt, bei welcher Christus selber das eucharistsiche Opfer darbringt. Jeder Priester ist nach orthodoxer Auffassung eine Ikone Christi, durch welchen der eigentliche Priester, Christus, wirkt (Aktualpräsenz). Das wichtigste Gebet im eucharistsichen Gottesdienst ist die sogenannte Epiklese, die Bitte der Heiligung der Gaben durch den Heiligen Geist. Der Priester wendet sich an den Vater und bittet: «Sende Deinen Heiligen Geist auf uns und auf die vorliegenden Gaben herab und mache dieses Brot zum kostbaren Leibe Deines Christus. Und was in diesem Kelche ist, zu dem kostbaren Blute Deines Christus, sie umwandelnd durch Deinen Heiligen Geist.»
Auf unserer Ikone wendet sich also der Christus-Engel an den Vater, segnet den Kelch und bittet den Vater, er möge den Hl. Geist senden. Der Vater-Engel wiederum blickt auf den Geist-Engel, sendet ihn und befiehlt ihm, das Erbetene zu tun. Der Geist-Engel blickt auf die Gaben und zeigt so sein die Gaben wandelndes Wirken.

Entsprechend ihrer symbolischen Bedeutung sind auch die Gewandfarben der beiden anderen Engel gestaltet: der Vater-Engel trägt ein purpurrotes Gewand. Purpur war die Gewandfarbe der Könige und Kaiser und symbolisierte Hoheit und Würde. Diese Farbe steht dem Vater, aus dem der Sohn und der Geist hervorgehen, zu. Der Geist-Engel trägt ein grünes Gewand. Grün steht für das Leben. Denn das nicäno-konstantinopolitanische Glaubensbekenntnis bezeichnet ihn als den, «der Herr ist und lebendig macht». Allen Dreien ist das Blau des Himmels eigen, welches ihre gemeinsame göttliche Natur andeutet.

Wie Eingangs beschrieben, sind die drei Engel in einen Kreis eingeschrieben. Der Kreis als vollkommenste geometrische Figur, seine Linie anfanglos und endlos, ist ein Hinweis auf den ewigen Gott. In der Mitte dieses Kreises steht das eucharistische Gefäß. Was aber ist diese Eucharistie, dieser Leib Christi? Auch hier gibt die orthodoxe Liturgie eine Antwort:

Nach der Kommunion stellt der Priester den Kelch mit den eucharistischen Gaben auf den Altar zurück. Vom Ritual der Gabenbereitung (Proskomidie) hat er noch Gedächtnisbrote übrig. Diese Gedächtnisbrote sind kleine Brotwürfelchen, von denen jedes Brot eine konkrete Person bedeutet: Engel, Heilige, aber auch gewöhnliche Gläubige, für welche der Priester einen Gebetsauftrag erhalten hatte, gleichgültig ob sie noch am Leben oder bereits entschlafen sind. Diese Gedächtnisbrote gibt der Priester nun in den eucharistischen Kelch. Damit kann man nicht mehr unterscheiden, was konsekriertes Brot, also Leib Christi und was Gedächtnisbrot ist. Gleichzeitig ist alles vom konsekrierten Wein, dem Blut Christi, durchdrungen. Eine zeichenhafte Verdeutlichung der paulinischen Leib-Christi-Theologie, welche in einem Wort des hl. Augustinus ihren eucharistischen Ausdruck gefunden hat: «Empfangt, was ihr seid: Leib Christi. Damit ihr werdet, was ihr empfangt: Leib Christi».

Durch die eucharistische Vereinigung mit Christus sind die Gläubigen selber Leib Christi geworden und so in die Mitte des dreifaltigen Gottes aufgenommen. Daher ist es in vielen orthodoxen Gemeinden üblich, dass wer die Eucharistie empfangen hat, an diesem Tage keine Ikone mehr verehrt. Denn er ist nun würdiger als jede Ikone: Er ist mit Christus vereinigt und hat so Anteil an der göttlichen Natur Christi. Er ist vergöttlicht. In manchen Gemeinden kann man daher eine beeindruckende Sitte erleben: Diejenigen, welche die Eucharistie nicht empfangen haben, verbeugen sich vor dem Kommunikanten wie vor einer Ikone. Sie ehren Christus in ihm.

Im Hintergrund sehen wir links ein Haus, in der Mitte einen Baum und rechts einen kleinen Berg. Diese drei Motive erinnern uns an den Beginn des Berichtes vom Besuch Gottes in Gestalt dreier Männer bei Abraham: «Der Herr erschien dem Abraham bei der Eiche von Mamre. Abraham saß zur Zeit der Mittagshitze am Zelteingang» (Gen 18,1). Obwohl durch das Weglassen der Bewirtungsszene eine Verlagerung des inhaltlichen Schwerpunktes der Ikone vom Thema der Gastfreundschaft Abrahams zur Dreifaltigkeit und näherhin zur Dimension der Dreifaltigkeit im Geschehen der Eucharistie gelingen konnte, blieben doch diese Zitate aus dem biblischen Text im Bilde bestehen. Das Haus (Zelt), die Eiche und der Hain Mamre verankern das Geschehen an einen konkreten Ort. Bei aller Symbolik ist das Christentum kein mythisches Ereignis, sondern die Offenbarung Gottes geschieht immer an konkreten Menschen und an benennbaren Orten und zu benennbarer Zeit. Christentum ist die Geschichte Gottes mit den Menschen. Haus und Hain sind Zeichen der Heimat und Vertrautheit. Im übertragenen Sinn stehen sie für die Geborgenheit, welche am Ende nur von Gott kommen kann.

Vor allem aber der Baum in der Mitte bekam dann dennoch eine zusätzliche symbolische Bedeutung: Auf vielen Ikonen besitzt dieser Baum zwei Kronen und er wächst nicht zufällig gerade hinter oder über dem Christusengel. Die Eiche von Mamre wird zum Symbol der beiden Bünde, des Alten und des Neuen Bundes. Die kleine Krone ist der alte Bund, welcher bis heute weiter besteht und -wenn auch kleiner- blüht. Die größere Krone öffnet sich direkt über dem Christusengel und bezeichnet so den Neuen Bund, welcher in einem neuen Israel allen Völker offen steht: «An jenem Tag wird es der Spross aus der Wurzel Isais sein, der dasteht als Zeichen für die Nationen; die Völker suchen ihn auf; sein Wohnsitz ist prächtig» (Jes 11,10).

Gleichzeitig wird auf Christus als dem Messias verwiesen: Der Messias wird aus dem Stamm Davids kommen. Isai war der Vater Davids. Auch diese Interpretationen hat ihre Grundlage im selben Kapitel des Propheten Jesaia: «Doch aus dem Baumstumpf Isais wächst ein Reis hervor, ein junger Trieb aus seinen Wurzeln bringt Frucht» (Jes 11,1). Daher zeigt der Baum auch auf den meisten Ikonen einen abgesägten Stamm. Die neue Krone wächst aus dem alten Stumpf heraus.

Der Berg hinter dem Geistengel ist nicht immer, aber doch auf manchen Ikonen, gespalten dargestellt. Hier liegt es nahe, an den vom Stab des Mose gespaltenen Felsen zu denken, aus welchem lebendiges Wasser für das dürstende Volk hervorströmte (Ex 17,6). Paulus deutet diesen «geistlichen Felsen» als Symbol Christi (1 Kor 10,4). Und Christus deutet im Johannesevangelium die «Ströme lebendigen Wassers» auf den Heiligen Geist (Joh 7,38 f.) Diesen Text verwendet die Orthodoxe Kirche in der Liturgie des Pfingstfestes. Der Geist ist es, welcher uns von Christus, dem geistlichen Felsen geschickt wird: «Und ich werde den Vater bitten und er wird euch einen anderen Beistand geben, der für immer bei euch bleiben soll» (Joh 14,16).

Dieser Beistand erst macht einerseits die Christusgemeinschaft vollständig, andererseits ermöglicht er sie und geht ihr damit voraus. In der Eucharistie bittet der Priester gleichsam als Ikone des einzigen Hohenpriesters, Jesus Christus, den Vater um die Wandlung der Gaben durch den Heiligen Geist, damit Christus gegenwärtig werde. In der Bitte um den Geist ist Christus bereits anwesend und wird doch durch eben diesen Geist gegenwärtig. Ein ähnliches Paradoxon stellt die Taufe dar: Wir werden auf Christus getauft. Die Taufe begründet die Christusgemeinschaft und danach erhalten wir im Sakrament der Firmung den Heiligen Geist, der «Herr ist und lebendig macht» (Nizänokonstantinopolitanisches Glaubensbekenntnis), welcher diese Christusgemeinschaft nicht nur befestigt und am Leben erhält, sondern gleichzeitig auch begründet.

Eine sehr ausführliche Beschreibung der Dreifaltigkeitsikone findet sich bei:
Gabriel Bunge, Der andere Paraklet, Würzburg 1994, ISDN 3-927894-13-3


Ikonenmalen oder Ikonenschreiben?

Die Wortschöpfung «Ikonenschreiben» ist eine sehr junge und beschränkt sich auf die westlichen Sprachen und hat eine idealisierende Tendenz. Das Griechische kennt keine solche Differenzierung, da es im Griechischen keine verschiedenen Verben für «malen» und «schreiben» gibt. Das einheitliche Verbum lautet «grapho» = ich male, ich schreibe. Als Basis für Fremdworte zeigt dieses Wort bis heute im Deutschen seine Doppelbedeutung:
«Gravieren» bedeutet einritzen. Hier schimmert noch die Erinnerung durch, daß uns viele Texte aus der Antike als in Stein gemeißelt erhalten blieben.
Eine «Bibliographie» ist eine Literaturliste, eine «Diskographie» eine Schallplattenliste, also etwas Geschriebenes. «Grafik» oder «graphisch» wiederum meint bildliche Gestaltung.

Da es also im griechischen (und in dem von ihm in diesem Falle abhängigen russischen) Sprachgebrauch keine Differenzierung zwischen malen und schreiben gibt, geschieht die Präzisierung, ob es sich um malen oder schreiben handelt, durch ein beigegebenes Substantiv: ich male/schreibe einen Brief bzw. ich male/schreibe ein Bild.

Wichtig für das Verständnis eines Wortes ist die Vorstellung, die es im Hörer oder Leser erzeugt. Das Wort „Maler“ erzeugt die Vorstellung eines Menschen, welcher mit einem Pinsel arbeitet. Das Wort «Schreiber» läßt uns an ein Schreibwerkzeug in der Hand denken.

Das geschieht auch im Griechischen. Nur entsteht die genaue Vorstellung erst dann, wenn durch das beigefügte Substantiv, was nämlich nun genau gemalt oder geschrieben wird, genannt ist. Im Übrigen differenziert auch das Griechische zwischen Ikonenmalern und profanen Malern:

Im Griechischen ist ein Ikonenmaler ein Hagiographos (Heiligenmaler), ein profaner Maler ein Zographos (Lebensmaler). Man könnte also mit derselben Begründung, die für den Begriff Ikonenschreiben bemüht wird, auch einen Portraitmaler als Portraitschreiber bezeichnen. Schließlich muß ja auch er ähnlich genau arbeiten, wie es für das Ikonenmalen gefordert wird.

Eine Präzisierung ist somit durch das analoge deutsche Ikonen«malen» ausreichend gegeben, zumal die deutsche Sprache ebenso durch Nennung des Malgegenstandes differenziert: Ikonenmaler, Landschaftsmaler, Portraitmaler, Aktmaler usw.

Man muß also der deutschen Sprache nicht sinnlos Gewalt antun, zumal das bedeutungsschwer gebrauchte Wort vom Ikonen «schreiben» nur die Unkenntnis verrät, daß «grapho» eben schreiben UND malen bedeutet.

Vielfach wird behauptet, mit dem Wort «schreiben» für die Herstellung von Ikonen könne deren Sakralität besser zum Ausdruck gebracht werden. Dieses Argument ignoriert allerdings die Tatsache, daß «schreiben» alleine noch keine Sakralität bedeutet. Der weitaus größte Teil dessen, was geschrieben wird, hat mit Sakralität nichts zu tun.

Im Übrigen war man im Griechischen nicht von Anfang an auf eine genaue Unterscheidung zwischen Ikonenmalern und profanen Malern erpicht: Das siebte ökumenische Konzil von 787, welches die Verwendung der Ikonen erlaubte und regelte, verwendete in seinen Texten für den Ikonenmaler das Wort «zográphos». Es bedeutete damals schlicht «Maler». Und bis heute gibt es auf dem Heiligen Berg Athos ein Kloster mit dem Namen «Zographou» – das Kloster des Malers. In dessen Gründungslegende geht es um ein von unbekannter Hand entstandenes Bild – natürlich eine Ikone.

Ikone
und Signatur

Eng verbunden mit dem Thema Ikonen malen/Ikonen schreiben ist die Frage nach der Signatur durch den Künstler.

Vielfach ist zu lesen, die individuelle, schöpferische Ausdrucksweise des Malers sei aus kirchlicher Sicht irrelevant; Ikonenmalerei werde als religiöses Handwerk, nicht als Kunst gesehen, weshalb eben das Wort Ikonenschreiber angemessener sei und die «Verewigung» des Malers durch eine Signatur unangemessen sei.

Dem steht jedoch die Tatsache entgegen, daß trotz fehlender Signaturen bei herausragenden Werken die Urheberschaft tradiert wurde (z.B. Rublew oder Theophanes der Grieche). Sie wurde also durchaus als bedeutend angesehen. Und selbstverständlich hat man zur Ausstattung von Kirchen immer Künstler ausgewählt, von denen man erwarten konnte, daß sie dem Auftrag angemessen gerecht werden. Die individuelle Ausdrucksweise und das Können des Malers war eben trotz aller Theorie immer von Bedeutung.

In der nachbyzantinischen Schule der kretischen Ikonenmalerei sind Signaturen sehr häufig und in der gegenwärtigen griechischen Ikonenmalerei die Regel. Auch die heutigen Ikonen malenden Athosmönche signieren ihre Werke.

Daß die alten Ikonen unsigniert sind, hat seinen einfachen Grund darin, daß im Mittelalter nirgendwo Kunst signiert wurde. Auch im Westen nicht. Erst mit der Neuzeit entsteht ein Bewußtsein vom individuellen Schöpfer, was langsam zum Gebrauch von Signaturen führt. Zeitlich etwas verspätet, geht das Aufkommen von Signaturen in der nachbyzantinischen Ikonenmalerei in der frühen Neuzeit mit der parallelen Entwicklung der westlichen Kunst zusammen.
In Rußland entstand dann jedoch eine arbeitsteilige Technik der Ikonenherstellung: An einer Ikone arbeiteten häufig mehrere Meister. Für Vergoldung, Landschaft oder Architektur, Gewänder sowie Gesichter und Hände gab es häufig verschiedene Spezialisten. Logischerweise gibt es hier dann kein Bedürfnis mehr nach Signaturen. Allerdings findet man auf historischen russischen Ikonen zuweilen eine Signatur auf der Rückseite. Dies kann dann der Fall sein, wenn die Ikone nicht arbeitsteilig, also seriell gemalt wurde, sondern von einem einzigen Meister, welcher dann seine alleinige Urheberschaft durchaus zu dokumentieren wünschte.

Copyright für alle Ikonen und Texte: Abraham Karl Selig.