Ikonenmalen oder Ikonenschreiben?
Die Wortschöpfung «Ikonenschreiben» ist eine sehr junge und beschränkt sich auf die westlichen Sprachen und hat eine idealisierende Tendenz. Das Griechische kennt keine solche Differenzierung, da es im Griechischen keine verschiedenen Verben für «malen» und «schreiben» gibt. Das einheitliche Verbum lautet «grapho» = ich male, ich schreibe. Als Basis für Fremdworte zeigt dieses Wort bis heute im Deutschen seine Doppelbedeutung:
«Gravieren» bedeutet einritzen. Hier schimmert noch die Erinnerung durch, daß uns viele Texte aus der Antike als in Stein gemeißelt erhalten blieben.
Eine «Bibliographie» ist eine Literaturliste, eine «Diskographie» eine Schallplattenliste, also etwas Geschriebenes. «Grafik» oder «graphisch» wiederum meint bildliche Gestaltung.
Da es also im griechischen (und in dem von ihm in diesem Falle abhängigen russischen) Sprachgebrauch keine Differenzierung zwischen malen und schreiben gibt, geschieht die Präzisierung, ob es sich um malen oder schreiben handelt, durch ein beigegebenes Substantiv: ich male/schreibe einen Brief bzw. ich male/schreibe ein Bild.
Wichtig für das Verständnis eines Wortes ist die Vorstellung, die es im Hörer oder Leser erzeugt. Das Wort „Maler“ erzeugt die Vorstellung eines Menschen, welcher mit einem Pinsel arbeitet. Das Wort «Schreiber» läßt uns an ein Schreibwerkzeug in der Hand denken.
Das geschieht auch im Griechischen. Nur entsteht die genaue Vorstellung erst dann, wenn durch das beigefügte Substantiv, was nämlich nun genau gemalt oder geschrieben wird, genannt ist. Ikonen"schreiben" kann man also im Griechischen gar nicht sagen, weil durch die Mehrdeutigkeit des Wortes "grapho" die Nennung, was nun geschrieben oder gemalt wird, zwingend ist. Sobald aber dann das Wort Ikone fällt, entsteht die Vorstellung des Malens.
Im Übrigen differenziert auch das Neugriechische zwischen Ikonenmalern und profanen Malern:
Im Neugriechischen ist ein Ikonenmaler ein Hagiographos (Heiligenmaler), ein profaner Maler ein Zographos (Lebensmaler). Man könnte also mit derselben Begründung, die für den Begriff Ikonenschreiben bemüht wird, auch einen Portraitmaler als Portraitschreiber bezeichnen. Schließlich muß ja auch er ähnlich genau arbeiten, wie es für das Ikonenmalen gefordert wird.
Eine Präzisierung ist somit durch das analoge deutsche Ikonen«malen» ausreichend gegeben, zumal die deutsche Sprache ebenso durch Nennung des Malgegenstandes differenziert: Ikonenmaler, Landschaftsmaler, Portraitmaler, Aktmaler usw.
Man muß also der deutschen Sprache nicht sinnlos Gewalt antun, zumal das bedeutungsschwer gebrauchte Wort vom Ikonen «schreiben» nur die Unkenntnis verrät, daß «grapho» eben schreiben UND malen bedeutet.
Vielfach wird behauptet, mit dem Wort «schreiben» für die Herstellung von Ikonen könne deren Sakralität besser zum Ausdruck gebracht werden. Dieses Argument ignoriert allerdings die Tatsache, daß «schreiben» alleine noch keine Sakralität bedeutet. Der weitaus größte Teil dessen, was geschrieben wird, hat mit Sakralität nichts zu tun.
Im Übrigen legte man im Griechischen zur Zeit der Spätantike keinen Wert auf eine genaue Unterscheidung zwischen Ikonenmalern und profanen Malern: Das siebte ökumenische Konzil von 787, welches die Verwendung der Ikonen erlaubte und regelte, verwendete in seinen Texten für den Ikonenmaler das Wort «zográphos». Es bedeutete damals schlicht «Maler». Und bis heute gibt es auf dem Heiligen Berg Athos ein Kloster mit dem Namen «Zographou» – das Kloster des Malers. In dessen Gründungslegende geht es um ein von unbekannter Hand entstandenes Bild – natürlich eine Ikone.
Von dem kretischen Ikonenmaler Andreas Ritzos (1421-1492) ist eine Muttergottesikone überliefert, die er lateinisch signierte, da sie für einen katholischen Kunden bestimmt war. Er schrieb: "Andrea Rico de Candia pinxit", also "Andreas Ritzos aus Candia hat (es) gemalt". Hätte Er "schreiben" sagen wollen, so hätte er nicht mit "pinxit" (er hat gemalt), sondern mit "scripsit" (er hat geschrieben) signieren müssen. Die Verwendung von Ikonen"schreiben" läßt sich also historisch nicht nachweisen - im Gegenteil, wie Andreas Ritzos' lateinische Inschrift belegt.
Dieselbe Diskussion findet sich auch im Bereich der englischen Sprache. Auch hier wehren sich Fachleute gegen die unbegründete Verwendung des Wortes Ikonen"schreiben":
https://orthodoxhistory.org/2010/06/08/icons-are-not-written/
https://russianicons.wordpress.com/2015/08/20/a-fundamental-but-sadly-still-frequent-error/
Eine Kursteilnehmerin fragte vor einiger Zeit einen griechischen Ikonenmaler auf Zypern, was er von "Ikonenschreiben" bzw. in englischer Sprache von "icon writing" hielte. Seine Antwort war kurz und bündig: "western nonsense".